FAQ Differenziale und Sperren


Welche Sperrwirkung hat ein offenes Differenzial?

Wenn ein offenes Differenzial völlig reibungsfrei arbeiten würde, dann hätte es den Sperrwert 0% oder einen Torque Bias von 1,0 (Erläuterung Zusammenhang). In der Praxis gibt es aber die Verzahnungen der Kegelräder, die aufeinander wälzen, sobald sich an den Rädern einen Drehzahlunterschied einstellt. Die Seiten- und Kegelräder in Differenzialen werden seitlich nicht über Wälzlager abgestützt, sondern beispielsweise über Anlaufscheiben, so dass auch zwischen den Zahnrädern und dem Gehäuse Reibung entsteht. In der Praxis können sich Sperrwerte von 7%...13% einstellen.


Ich stecke mit einem Rad im Schnee fest und habe ein drehmomentfühlendes Differenzial. Wie kann ich Traktion auf das andere Rad bringen?

In der Regel wird eine Antischlupfregelung (von dem Herstellern als Traction Control System, TCS, ASR oder anderen Bezeichnungen benannt) vorhanden sein. Die hilft dem drehmomentfühlenden Differential.

Wenn die nicht vorhanden ist, gibt es eine weitere Lösung: Im Handbuch für den Hummer von GM, der mit drehmomentfühlenden Differenzialen ausgerüstet ist, gibt es dazu folgenden Vorschlag: Bremse leicht antippen. Dadurch wird auf beiden Seiten der Achse ein Bremsmoment erzeugt und weil das Differenzial Drehmomente umverteilt, wird auch noch Energie auf die schwächere Seite gegeben. Aber: Das ist nicht besonders effektiv.

Kann das Rad mit geringer Bodenhaftung x Nm übertragen, hat das Differential einen Torque Bias von t, und wird in der Bremse y Nm weggebremst, dann kommt das auf's Rad:

M = (t-1)·y+(t+1)·x

Bei x = 100 Nm auf der schwächeren Seite, weiteren y = 200 Nm die über das antippen der Bremse auf jeder Seite abgezogen werden, kommt bei einem Torque Bias t = 2,5 ein Vortrieb von M = 650 Nm heraus. Dazu muss der Motor ein Achsmoment von 1050 Nm (Hinweis: Das Achsmoment errechet sich aus Motormoment × Getriebeübersetzung × Achsübersetzung) bereitstellen.


Die Vorderachse meines Fahrzeuges wird permanent, die Hinterachse über eine Viskokupplung angetrieben. Darf ich es abschleppen?

Ja, aber nur wenn alle Räder rollen oder das Fahrzeug als Ganzes auf den Abschleppwagen verladen wird. Wenn beim Abschleppen nur eine Achse angehoben wird, dann läuft die Viskokupplung immer unter Differenzdrehzahl und kann zerstört werden. Wenn das Abschleppen nur mit einer angehobenen Achse möglich ist, sollte man die Kardanwelle so auseinanderschrauben, sodass sie keine Drehbewegung mehr übertragen kann.


Ich fahre nach einer Panne mit einem Notrad. Macht das meinem Sperrdifferenzial etwas aus?

Wenn das Notrad einen anderen Durchmesser hat, als das andere Rad, dann schadet das jedem Differenzial, und Sperrdifferenzialen besonders. Der Grund liegt darin, dass die Sperre Reibungswärme erzeugt. Wenn die Sperre dabei überhitzt, kann folgendes passieren: Bei Reiblamellen werden die Oberflächen glasig, danach sinkt die Sperrwirkung dauerhaft ab oder bei geklebten Reibflächen löst sich der Klebstoff und der Reibbelag wandert. Bei anderen Differenzialen kann die metallische Oberfläche zerstört werden, dann bilden sich Pittings und die Krümel wandern durch das Getriebe (falls das Sperrdifferential im Getriebe eingebaut ist), wo sie andere Bauteile und Dichtungen schädigen können.

Empfehlungen für den Fall des Falles:


Muss ich zum TÜV, wenn ich mein offenes Differenzial durch ein Sperrdifferenzial ersetzen will?

Ja. Solche Nachrüstungen sind allerdings mit gewissen Risiken behaftet: In Fahrzeugen mit ABS und ESP ist es möglich, dass die Steuerungssoftware die Auswirkungen der Sperre auf die Raddrehzahlen berücksichtigt, welche in einem Fahrzeug mit offenem Differential anders wären.

Eine nachträgliche Änderung der Abstimmung der Systeme ist schwierig, da die ABS/ESP-Hersteller ihre Algorithmen natürlich als know-how geheim halten und die Fahrzeughersteller die Steuergeräte durch weitere Maßnahmen gegen Veränderungen durch Dritte oder gegen Flaschen mit einer unpassenden Software schützen.

Lediglich bei rein drehmomentfühlenden Sperren, also ohne Anteile einer Festwertsperre (beispielsweise durch eine Federvorspannung bewirkt) und ohne Kombination mit einer Viskosperre besteht die Möglichkeit der Nachrüstung, ohne die ESP und ABS-Funktion zu beeinflussen - vorausgesetzt, man tritt bei Vollbremsungen immer auch die Kupplung.

Wenn das Fahrzeug vom Hersteller mit einer Sperre angeboten wird, hat man bei aktuellen Fahrzeugen mit CAN-Bus und elektronischer Steuerung noch eine Chance, wenn man das in der Serie verwendete Sperrdifferential nachrüstet. In diesem Falle sollte man einen Händler fragen, ob auch Teile, insbesondere die Steuergeräte von ABS/ESP getauscht werden müssen (beispielsweise Teilenummern vergleichen).

Wie sich die Wirkung einer nachgerüsteten Sperre im Ernstfall auswirken kann, lässt sich nicht vorhersagen, da es nicht in allen Situationen von Bedeutung ist. Eine normale Bremsung auf trockenem Asphalt bei Geradeausfahrt hat keine Auswirkungen.

Bei schwierigen Situationen erkennt das System vielleicht die veränderte Situation und stellt seinen Betrieb vollständig ein, so dass die ganz normale mechanische Bremse funktioniert - so wie einem Fahrzeug aus den 70ern. Vielleicht schätzt das System die gemessenen Daten (Raddrehzahlen) falsch ein und interpretiert die Fahrsituation deshalb anders, als sie wirklich ist. Entsprechend könnten die Maßnahmen des ABS/ESP für unzureichende Bremswirkung oder einen Abflug sorgen. Welches Risiko genau besteht, müsste der Fahrer also in Tests selbst "erfahren".


Lässt eine Sperre im Laufe ihres Lebens nach?

Ein gewisser Einlaufvorgang ist normal. Bei Sperren mit Reiblamellen ist auch Verschleiß üblich.

Dazu eine Herstellermeinung: Visteon schrieb einmal, dass nach 30.000 Meilen ein Sperrdifferenzial mit konventionellen Reiblamellen seine Wirkung völlig verliert. Bei Reiblamellen aus Kohlefasern verspricht Visteon bei den eigenen Sperren eine Lebensdauer von 150.000 Meilen.

Daneben gibt es noch Schäden, die durch Überlastung und Missbrauch auftreten können, z.B. Abschleppen, kleines Notrad.


Mein Sperrdifferenzial macht Geräusche!?

Immer wenn Festkörperreibung im Spiel ist, kann es auch zu Geräuschen kommen. Der Effekt ist unter Namen wie 'selbsterregte Reibschwingung' oder 'stick-slip' bekannt. Man kennt ihn ebenso von quietschenden Bremsen und er kann auch auftreten, wenn die Sperre gerade unter Differenzdrehzahl läuft und sperrt. Wie bei den quietschenden Bremsen ist das vielleicht unangenehm, aber kein Zeichen für einen Defekt oder das nahende Ende der Sperre - es ist eher ein Lebenszeichen und bestätigt die Aktivität der meist teuer bezahlten Sperre.

Bei Viskokupplungen ist wegen der Flüssigkeitsreibung kaum mit Eigengeräuschen zu rechnen, sie sind sogar für ihre geräuschdämpfende Wirkung bekannt. Unabhängig davon können durch eine kräftig zupackende Sperre auch bei bestimmten Situationen (z.B. Einparken) Geräusche im Antriebsstrang entstehen.

Aber: Wenn die Geräusche bei Geradeausfahrt auf ebener Straße entsteht, ohne dass Räder durchrutschen, dann ist kaum das Sperrdifferenzial der Schuldige.

In der Regel sind die Fahrsituationen beim Sperreneinsatz so, dass das Geräusch entweder nicht stört (weil der Adrenalin-Pegel des Fahrers ziemlich hoch ist) oder von anderen Komponenten übertönt wird (z.B. durchrutschende Reifen oder wenn die Antischlupfregelung mitwirkt).