Bremse oder Sperre?

Ein Systemvergleich

Häufig denkt man bei Sperrdifferenzialen an Geländewagen, die sich durch Schlamm wühlen und an die Traktionsprobleme mit dem eigenen Wagen im Winterurlaub. Wer einen Sportwagen fährt, hat dieses Thema vermutlich eher mit mäßigem Interesse verfolgt.

Inzwischen scheint es, dass Sperren überflüssig geworden sind, weil vor allem die Hersteller von heckangetriebenen Fahrzeugen ihre Fahrzeuge mit elektronischen Schlupfregelungen ausstatten, die über einen Bremseneingriff ein durchdrehendes Rad wieder abbremsen und dadurch das andere Rad wieder Bodenhaftung gewinnt. Zusätzlich greifen viele Systeme auch in die Motorsteuerung ein, so dass der Fahrer nicht zu viel Gas geben kann und bei schlechter Bodenhaftung mit durchdrehender Achse und Vollgas auf der Straße tanzt.

Für den Normalfahrer ist das völlig ausreichend, die Zahl der Ernstfälle ist vermutlich gering und der Mehraufwand für eine elektronische Traktionskontrolle besteht nur in einer erweiterten Software, wenn das Fahrzeug bereits ein elektronisches Stabilitätsprogramm (ESC) hat.

Für anspruchsvollere Anwendungen, wie z.B. Optimierungen der Fahrdynamik, ist eine Sperre die bessere Lösung, wie die folgenden Punkte zeigen sollen.
 

Verlustleistung

Tod in der Bremse: Verlustleistung bei Bremseneingriff und im Sperrdifferenzial

Ob Bremseneingriff oder Sperrdifferenzial - beide arbeiten mit Reibungsverlusten. Jedoch sind die Reibungsverluste bei der Sperre viel kleiner als bei einem Bremseneingriff.

Die Leistung, die von einem drehenden Teil, wie z.B. der Kardanwelle, weitergegeben wird, ist Drehmoment mal Winkelgeschwindigkeit. Die Leistung ist also nur von Drehmoment und Drehzahl abhängig.

Nehmen wir ein Fahrzeug mit einer angetriebenen Achse, welches mit einem Rad in der Luft hängt oder auf Eis steht. Wenn wir losfahren, dreht das freie Rad hoch und das andere Rad bekommt keine Leistung mehr ab.

Mit dem Bremseneingriff bringen wir das durchdrehende Rad auf die Drehzahl des anderen Rades, denn wenn das durchdrehende Rad wieder festen Boden erreicht, muss es in der richtigen Geschwindigkeit rollen können damit das Fahrzeug nicht gebremst wird. Die Hälfte der Leistung geht nun in das Rad mit der Bodenhaftung. Die andere Hälfte geht in die Bremse des durchdrehenden Rades - ganze 50% der Antriebsleistung werden so verbraten. Merke: Beim Bremseneingriff hängt die Verlustleistung von der Absolutdrehzahl des zu zähmenden Rades ab. Bei einachsigem Antrieb sind das um die 50% (etwas mehr, wenn eine Kurve gefahren wird und das freie Rad außen ist, etwas weniger, falls das freie Rad das kurveninnere Rad ist).

Beim Differenzial dagegen ist die Verlustleistung um so geringer je ähnlicher die Drehzahlen der Räder sind, da die Sperren stets versuchen, das eine Rad an die Geschwindigkeit des anderen anzugleichen. Der optimale Fall ist die Vollsperrung der Achse durch eine Klauenkupplung, das verhindert jeden Verlust.

Bei allradgetriebenen Fahrzeugen kann es theoretisch noch schlimmer kommen. Wer im Schlammloch steckt und nicht mehr vorwärts kommt, legt den Rückwärtsgang ein. Wenn jetzt nur noch ein Rad Bodenhaftung hat, werden durch den Bremseneingriff 75% der Leistung in den Bremsen verheizt. Besonders unangenehm ist, dass der Motor bei niedrigen Drehzahlen nicht auf sein volles Drehmoment kommt, der Fahrer muss ordentlich Gas geben und bei hoher Drehzahl einkuppeln. Dadurch wird die Motorleistung hochgetrieben, so das die 25% die an dem einen, bondenständigen Rad noch ankommen, das Fahrzeug aus dem Dreck ziehen.

Bei den Sperren wiederum macht man einfach alle Sperren zu und alle Räder drehen im Gleichtakt. Die Verlustleistung beschränkt sich auf Getriebeverluste und das, was beim Rühren der freien Räder im Schlamm verloren geht.

Einen weiteren Nachteil des Bremseneingriffes erkennt man, wenn man den gesamten Antriebsstrang betrachtet. Wenn man beim Anfahren an einer Steigung steht, einen Anhänger zieht oder sich durch schlammigen oder sandigen Untergrund wühlt, braucht man mehr Leistung. Die heutigen Motoren haben zwar oft beeindruckende Leistungswerte und Drehmomentwerte, diese stehen aber nicht ab Leerlauf zur Verfügung, sondern erst bei höheren Drehzahlen. Wenn der Fahrer also ein Fahrzeug mit Bremseneingriff hat, wird er zum Anfahren mehr Gas geben und länger einkuppeln, als der Fahrer mit Differenzialsperre. Dadurch geht beim Bremseneingriff noch mehr Leistung verloren, denn sie bleibt hier schon in der Kupplung stecken und führt da zu übermäßiger Erwärmung - mit den entsprechenden Auswirkungen auf Lebensdauer und Zuverlässigkeit.
 

Vergleich

Es gibt noch weitere Argumente, welche für die Sperren sprechen, insbesondere wenn man elektronisch geregelte Sperren mit dem elektronisch gesteuerten Bremseneingriff vergleicht:
(Elektronische) Differenzialsperre Bremseneingriff
Sicherheit

Die Sperre ist unabhängig von anderen Funktionen. Beim Versagen der Sperre ist dies entsprechend unkritisch für das Fahrverhalten, ein Notlauf mit defekter Sperre ist unproblematisch.

Wenn der Fahrer beim Anfahren durch zu viel Gas die ganze Achse durchdrehen läßt, kann ein unkontrolliertes Herumrutschen erst durch einen ESC-Eingriff verhindert werden.

Durch Traktionsaufgaben wird die Bremse zusätzlich belastet und der Fahrer bekommt im Gegensatz zur Betriebsbremse keine Rückmeldung, wie sehr die Bremse durch Traktionsaufgaben belastet wurde.

Ein möglicher Anwendungsfall ist die Bergfahrt mit verschneitem Randstreifen. Hier könnte eine Traktionskontrolle regelmäßig einsetzen, um den Schlupf zu begrenzen. Dann würden die Bremsen schon beim Aufstieg aufgeheizt (dies wurde in der Praxis aber noch nicht als kritisch identifiziert).

Wenn die Steuerung über das ESC erfolgt, dann wird in der Regel auch die Motorleistung bei Bedarf begrenzt. Dadurch wird verhindert, dass der Fahrer beim Anfahren durch zu viel Gas das Fahrzeug unnötig instabil macht.

Leistungsverluste durch Sperrwirkung (siehe auch Wirkungsgrad)

Gering: Je kleiner die Drehzahldifferenz der Räder ist, umso geringer ist die Verlustleistung - Eine kleine Drehzahldifferenz ist der häufigste Fall.

Bei bei hoher Fahrgeschwindigkeit wird weniger Leistung benötigt, da Kurvenradien größer werden und damit die Differenzdrehzahl der Räder sinkt.

Hoch: Steigt mit der Absolutdrehzahl des Rades mit geringer Bodenhaftung.

Gleiche Regelungsaufgaben benötigen bei hoher Fahrgeschwindigkeit mehr Leistung, da hier wieder die Absolutgeschwindigkeit die Erwärmung der Bremse bestimmt.

Regelungsaufwand

Niedrig. Es sind sogar Sperrdifferenziale ohne Elektronik (selbstregelnde Systeme wie z.B. Viskokupplung) oder Systeme mit elektronisch gesteuerten Stellgliedern möglich.

Hoch. Systeme sind nur mit guter Regelung realisierbar.

Beim Anfahren muss erst festgestellt werden, welches Rad durchrutscht, dadurch ist auch in eindeutigen Situationen eine Zeitverzögerung bis zum Beginn der Regelung unvermeidlich. Das kann dazu führen, das sich das Fahrzeug beginnt, einzugraben.

Kosten für Fahrzeugausrüstung

Zusätzliche Kosten für

  • Elektronik und Software (Steuerung, nicht bei rein mecahnischen Sperren)

  • Zusätzliche Mechanik (Sperre, Reiblamellen)

Zusätzliche Kosten für

  • Software (Steuerung)

Bauraum

Der Sperrmechanismus (Reiblamellenkupplung, Viskokupplung) benötigt ein eigenes Gehäuse oder wird mit dem Differenzial einem größeren Gehäuse untergebracht.

Es wird kein zusätzlicher Bauraum benötigt. Falls höhere Systemanforderungen gestellt werden, tauscht man vorhandene Bauteile aus.

Regelungsgeschwindigkeit (Reaktionsgeschwindigkeit bei plötzlich auftretenden Traktionsproblemen)

Die Regelung in den meisten Fahrsituationen (Geradeausfahrt) ist sehr einfach oder nicht erforderlich und kann daher sehr schnell erfolgen.

Die Regelstrategie ist gleich, egal ob das rechte oder linke Rad durch Regelung eingefangen werden muss, daher kann die Sperre schneller eingreifen.

In allen Fahrbereichen ist eine Regelung der Bremsleistung erforderlich, das Einschwingverhalten des Reglers verzögert die Wirkung des Bremseneingriffs. Alles, was die Wirkung der Bremse stört (z.B. Nässe) stört auch den Bremseneingriff.

Die Regelstrategie ist abhängig von der Seite, auf der sich das zu regelnde Rad befindet.

Regelungsgenauigkeit

Elektronisch geregelte Systeme können sich auf geringe Variationen in den Arbeitsbedingungen verlassen (gekapseltes Gehäuse für die Sperre).

Unter bestimmten Bedingungen kann sogar prädiktiv geregelt werden, z.B. wenn der Fahrer Gas (Kavalierstart) gibt, macht die elektronische Sperre schon zu, bevor der Motor die Leistung bereitstellt.

Weil die Umgebungsbedingungen in weiten Bereichen ermittelt und ausgeregelt werden müssen (z.B. saubere oder nasse Bremsbeläge) ist das System prinzipbedingt langsamer. Anforderungen an die Regelung werden mit geringen Geschwindigkeiten höher.

Bremsen müssen vor allem das Fahrzeug aus großer Geschwindigkeit abbremsen, die Feinheit der Regelung bei den vergleichsweise geringen Anforderungen für die Traktionshilfe sind daher und naturgemäß begrenzt.

Störwirkungen (betrifft Sperreneinsatz an der gelenkten Achse)

Sperrdifferenziale verteilen Momente um und lenken dadurch mit

Der Bremseneingriff wirkt wie jede andere Bremskraft und muss mit diesen unter einen Hut gebracht werden.

Hier entsteht ein Zielkonflikt, wenn z.B. durch den Lenkrollradius ein bestimmtes Verhalten für die Bremsung vorgegeben werden soll.

Einsatzbereich

Die Sperre ist in allen Geschwindigkeitsbereichen einsetzbar.

Die Sperre kann sowohl zur Optimierung der Fahrdynamik als auch der Traktion ausgelegt werden.

Wegen der Nachteile (Komfort, Leistung, Belastung der Bremse) ist eine Begrenzung auf eine bestimmte Fahrgeschwindigkeit empfehlenswert und üblich.

Die Optimierung der Fahrdynamik wird dadurch und durch die eingeschränkte Regelgenauiglkeit schwieriger.

Komfort

Ein geräuscharmes und wenig fühlbares Einsetzen der Sperrwirkung, ist bei allen Sperrensystemen Stand der Technik.

Die Bremse wird auf ihre eigentliche Aufgabe unter Höchstbelastung ausgelegt. Daher ist nach derzeitigem Stand der Technik die feine Dosierung im Arbeitsbereich der Traktionskontrolle schwierig, da hier nur ein Bruchteil der maximalen Bremsleistung gefordert und geregelt werden muss.

Daher ist bei Traktionsaufgaben mit einer pulsierenden Bremse zu rechnen, was zu entsprechenden Geräuschen und Komforteinbußen führen kann.

In den meisten Fällen reicht der Bremseneingriff aus, er wird sich sicherlich bei allen Fahrzeugen durchsetzen. Für anspruchsvollere Aufgaben bleiben Sperrdifferenziale die erste Wahl, auch wenn Sie nicht ganz billig sind.