Active Yaw oder Torque Vectoring

In der Fahrdynamik setzen sich zwei neue Begriffe durch, die das gleiche meinen: Sie heißen 'Active Yaw' oder 'Torque Vectoring'.

Torque Vectoring Einheit von GKN/ZF für BMW

Bild  1: Torque Vectoring Einheit von GKN/ZF für BMW. Die Einheit wird an der Hinterachse als komplettes Hinterachsgetriebe (statt Differential) verbaut

Active Yaw Patent DE10 2004 001 019, Differentialgetriebe mit Reibkorb für Giermoment

Bild 2: Active Yaw Patent DE 10 2004 001 019, Differentialgetriebe mit Reibkorb für Giermoment, Ralf Pfeifer

Active Yaw Patent, DE 10 2005 040 253, Differentialanordnung zur variablen Drehmomentverteilung

Bild 3: Active Yaw Patent, DE 10 2005 040 253, Differentialanordnung zur variablen Drehmomentverteilung, Ralf Pfeifer und Michael Engelmann

Was ist Active Yaw?

Der Unterschied zu einem normalen Sperrdifferential besteht darin, dass ein Sperrdifferential Drehzahlunterschiede angleichen kann und Antriebsmomente auf das langsamere Rad umleiten kann. Aber prinzipbedingt kann es vorhandene Drehzahlunterschiede nicht vergrößern und es kann kein Moment auf das schnellere Rad übertragen. Die aktuellen Active Yaw-Systeme bieten dagegen folgende Vorteile:

In welchen Fahrzeugen gibt es Active Yaw?

Seit 1996 gibt es den Mistubishi Lancer Evoultion, damals in der Version 6, der mit diesem System an er Hinterachse ausgerüstet wurde. Seit 2004 bietet auch Honda den Acura / Legend mit seinem SH-AWD (Super Handling All Wheel Drive System) an.

Ab 2008 wird im BMW X6 das Active Yaw als 'Dynamic Performance Control' lieferbar sein. Audi mit eigenen Fahrzeugen in dieses Segment einsteigen. Aufgrund des hohen technischen Aufwandes sind Active-Yaw-Systeme (noch) nicht sonderlich verbreitet.

Den Active-Yaw-Systemen werden elektrische Stellantriebe (E-Motoren) und elektronische Regelungen mitgegeben, während ein Sperrdifferential im einfachsten Fall (z.B. Super LSD) technisch kaum von einem offenen Differential zu unterscheiden ist. Dadurch brauchen sie mehr Bauraum und durch die höheren Kosten ist das System erst einmal in der automobilen Oberklasse zu finden.

Welchen Einfluss hat Active Yaw?

Mit dem Active Yaw System kann man die Richtung des Fahrzeuges beeinflussen, und das ohne die Lenkung selbst zu verwenden, wie dies bei Aktivlenkungen oder beispielsweise bei der aktiven Hinterachskinematik des BMW 850 (E31, gebaut 1989–1999) oder den aktuellen Hinterachslenkungen der Fall war. Während ein normales, offenes Differential die Antriebsmomente nur zu gleichen Teilen auf die Räder verteilen kann, lenkt schon ein Sperrdifferential mit, indem z.B. bei niedrigen Querbeschleunigungen (also bei Kurvenfahrt mit mäßigen Seitenkräften) das Fahrzeug stärker untersteuert, als es mit dem offenen Differential üblich wäre. Auch ein normales ESP lenkt mit, ohne auf die Lenkung zuzugreifen (neuere Verbundsysteme mit Eingriff in die Aktivlenkung gibt es inzwischen), denn es bremst einzelne Räder ab, um ein schleuderndes Fahrzeug wieder in die Richtung zu drehen, in die der Fahrer lenkt.

Mit einem elektronisch gesteuerten Active Yaw System kann ebenfalls gelenkt werden, indem die Antriebsmomente ungleich auf die Räder verteilt werden. Dadurch kann mehr Moment zum kurvenäußeren Rad gelenkt werden, so dass bei normalen Fahrbedingungen das Fahrzeug noch genauer den Erwartungen, Wünschen und Fahrtrichtungsvorgaben des Fahrers folgt.

Wenn das Active Yaw die Funktion des Zentraldifferentials einnimmt, kann es die Momente zwischen den Achsen umverteilen. So wäre es auf elektronischem Wege möglich, einen Allradantrieb spontan vom gutmütigem Fronttriebler zu einem wedelfreudigen Hecktriebler zu tunen.

Wie sieht die Technik aus?

Wenn man die Bilder von Mitsubishi (Bilder und Bericht auf sae.org) oder die Pressemitteilungen von Honda sieht, dann ist die Mechanik des Active Yaw schon ein beachtenswertes Stück Maschinenbau.

Im wesentlichen funktionieren die Systeme so: Vom Antrieb wird Leistung abgezweigt, die auf eine etwas schnellere und eine etwas langsamere Welle übersetzt wird. Diese Wellen wiederum kann man über Kupplungen mit einem Rad verbinden. Je nach dem, ob man die schnellere Welle oder die langsamere Welle mit dem Rad verbindet, wird es schneller (und das andere Rad langsamer) oder eben umgekehrt.

Eigentlich könnte man den Active Yaw Effekt sogar durch einen Bremseneingriff mit dem ESP erzeugen, vorausgesetzt, die Steuersoftware ist dazu in der Lage. Mechanisch gesehen geht dabei aber sehr viel Antriebsleistung in den Bremsen verloren, und das Fahrzeug würde eher langsamer, so dass der Fahrspaß (im wahrsten Sinne des Wortes) auf der Strecke bliebe.

Wer entwickelt Active-Yaw-Systeme

Im Falle von Mitsubishi war die japanische TFS (heute GKN Driveline) beteiligt, bei Honda ist es vermutlich eine Eigenentwicklung, bei BMW liefert ZF in Kooperation mit GKN Driveline und bei Audi ist Magna Steyr an Entwicklung und Produktion beteiligt.

Lösung mit Kegelraddifferential

Die Lösung in Bild 2 wurde unter DE 102 004 001 019 "Differentialgetriebe mit Reibkorb für Giermoment" zum Patent angemeldet.

Das System soll am Beispiel eines heckangetriebenen Fahrzeuges erläutert werden.

Der Antrieb erfolgt von der Kardanwelle über ein Kegelrad (1) auf ein Tellerrad (2), welches seinerseits auf einem Differentialgehäuse (3) fest montiert ist. Das System sieht im wesentlichen aus, wie ein ganz normales Kegelraddifferential. Die Achskegelräder S (mit den Rädern des Fahrzeugs verbunden) sind unverändert, lediglich die Planetenräder (P) wurden mit einer Hülse (4) versehen, so dass man sie über einen Reibring (5) auch von außen drehen kann. Ohne Eingriff verhält sich die gesamte Einheit wie ein offenes Differential.

Nun kann man das Ganze wie ein Sperrdifferential nutzen: Wenn das linke Rad schneller dreht, als das rechte Rad, dann verschiebt man die Gehäuseglocke (6) nach rechts, so dass der Reibring (5) an der linken Seite der Glocke reibt und abgebremst wird. Entsprechend ist die Gehäuseglocke nach links zu verschieben, wenn das rechte Rad zu schnell dreht.

Um das System als Active Yaw zu nutzen, geht man genau umgekehrt vor: Wenn das linke Rad beschleunigt werden soll, dann verschiebt man die Gehäuseglocke (6) einfach nach links und wenn das rechte Rad beschleunigt werden soll, dann verschiebt man die Gehäuseglocke (6) nach rechts.

Ein besonderer Vorteil ist, dass durch geeignete Wahl der Durchmesser das Reibmoment übersetzt werden kann, so dass man beispielsweise für 100 Nm Reibmoment am Reibring (5) den Gegenwert von 200 Nm (oder mehr) an ein Rad leiten kann.

Lösung mit Stirnraddifferntial

Die Lösung in Bild 3 baut auf das Stirnraddifferential auf und wurde beispielsweise als deutsches Patent DE 10 2005 040253 unter dem Titel "Differentialanordnung zur variablen Drehmomentverteilung" angemeldet. Die Postfixe R und L stehen für rechte (R) und linke (L) Seite.

Die Unterschiede zu einem Stirnraddifferential sind

Die Anornung kann nun so benutzt werden:

  1. Active Yaw: Bremst man beispielsweise bei Geradeausfahrt die Lamellenkupplung (13R) ab, so wollen die (bisher stillstehenden) Planetenräder auf dem Bremsrad (6) abwälzen. Dies führt natürlich auch dazu, dass die Planetenräder (3R) und (3L) abwälzen wollen, so dass Moment auf das linke Seitenrad (11L) übertragen wird.

  2. Sperrdifferential: Wenn das rechte Seitenrad (11R) bereits schneller dreht, dann drehen auch die Planetenräder (3L, 3R) um ihre Achsen. Bremst nun die Reiblamellenkupplung (13R), dann wird das gegenläufig zum Seitenrad (11R) drehende Planetenrad (3R) in dieser Drehbewegung um die eigene Achse gebremst und die Sperrwirkung der gesamten Einheit beeinflusst die Fahrdynamik des Fahrzeuges.

  3. Parkbremse oder Anfahrhilfe für Steigungen: Wenn Beide Kupplungen (13R, 13L) geschlossen sind, wird das gesamte System gebremst.